3 Fallen, die uns daran hindern, realistischer zu zeichnen
Bei dem Versuch, Objekte, Personen, Tiere oder Szenerien realistisch abzuzeichnen, tappen wir oft in Fallen, die uns unser Resultat und damit die Freude am Zeichnen gehörig vermiesen können. Wie man drei sehr häufige davon umgehen kann, das erkläre ich in diesem Beitrag.
Es ist immer wieder das Gleiche: Wir haben das Motiv in Natura direkt vor unserer Nase, und doch hat das, was da Strich für Strich auf unserem Zeichenblock entsteht, so gar nichts mit der Vorlage gemein. Die Linien sind krumm, die Proportionen stimmen nicht und überhaupt sieht das Ganze eher aus, als hätte es ein Kleinkind gezeichnet. Das ist wirklich frustrierend und kennt wohl so ziemlich jeder von uns: Die eigene Kreation will und will einfach nicht aussehen wie das Original. Ein Fotoapparat müsste man sein!
Aber was unterscheidet uns eigentlich von dieser genialen Apparatur? Im Gegensatz zum Fotoapparat verarbeiten wir Eindrücke viel stärker, wir vereinfachen, kategorisieren und mischen noch eine gute Portion Gefühle hinzu. Diese Mechanismen sind eigentlich nichts Schlechtes, sie machen unser Gehirn effizienter und in verschiedenen Stilrichtungen wie dem Expressionismus oder der Naiven Malerei sind sie sogar unverzichtbar. Was wir nur lernen müssen ist, sie dann auszuschalten, wenn sie uns nur behindern und gezielt Fotoapparat zu „spielen“, wenn wir es wollen. So gesehen fehlt uns eigentlich gar nichts zum perfekten Portrait-Zeichner, sondern wir haben eher etwas zu viel. Wir müssen unsere „inneren Filter“ ausschalten!
Falle 1: Einteilung
Wie fange ich an? Wir können uns beim Zeichnen leider immer nur um ein Detail auf einmal kümmern. Aber wenn wir das tun, stellen wir am Ende höchst wahrscheinlich fest, dass es an der falschen Stelle sitzt, viel zu klein ist oder aber zu groß, so dass die Hälfte vom geplanten Motiv gar nicht mehr aufs Bild passt. Aber auch wenn dies gelingt kann es sein, dass wir zu viel Himmel oder zu viel Erde haben, der Kopf des Portraitierten nicht in der Mitte sitzt oder dass das Meer droht, auf einer Seite aus dem Bild heraus zu laufen. Andere Betrachter amüsieren sich darüber köstlich, für uns ist es weniger lustig, schließlich steckt so viel Mühe in unserer Arbeit.
Wie können wir das verhindern? Am Besten indem wir damit beginnen, die Einteilung unseres Motivs so grob wie möglich mit dünnen Linien vorzuzeichnen, ähnlich wie ein Steinmetz, der zuerst die grobe Form aus seinem Werkstück herausarbeitet, bevor er ins Detail geht. Dann können wir alles gleichmäßig und schrittweise mehr und mehr differenzieren, während wir unsere Arbeit in regelmäßigen Abständen aus der Ferne betrachten. So stellen wir sicher, dass jedes Objekt am richtigen Platz ist, bevor wir unendliche Mühe ins Detail stecken und am Ende womöglich alles vergebens war.
Falle 2: Orientierung
Vielleicht wollen wir ein Gesicht oder ein Tier abzeichnen, aber es gelingt uns einfach nicht, die Form richtig zu übertragen: die Nase ist zu klein, der Mund viel zu weit unten und alles sieht irgendwie verzerrt aus? Das liegt meist daran, dass wir orientierungslos sind. Um das zu verhindern muss es uns gelingen, so viele Fixpunkte wie möglich in unserer Vorlage zu finden. Dabei stehen uns sämtliche Hilfsmittel aus der Geometrie zur Verfügung.
Angenommen wir wollen ein Gesicht abzeichnen. Nachdem wir also gemäß Falle 1 Position und Größe des Gesichts auf der Zeichenfläche festgelegt haben, können wir uns die folgenden Fragen stellen: Welcher Grundform ähnelt das Gesicht am ehesten? (z.B. Oval, Rechteck, Trapez…) Ist die vertikale Mittelachse genau senkrecht oder geneigt? Falls ja, in welchem Winkel? Befinden sich die Augen auf der horizontalen Mittelachse oder eher darüber/darunter? Wieviel Abstand ist zwischen den Augen bzw. vom äußeren Augenwinkel bis zum Rand des Gesichts? Je mehr Anhaltspunkte wir finden, umso besser, denn damit können wir jeden Abstand, jeden Winkel, jede Grundform und jedes Größenverhältnis überprüfen. Das klingt vielleicht anfangs etwas kompliziert, aber mit einwenig Übung läuft dieses Prüfen und Vermessen automatisch im Kopf ab und wir merken gar nichts mehr davon.
Falle 3: Schubladendenken
Jetzt wirds philosophisch! Denn in die dritte Falle tappen wir nicht nur beim Zeichnen, sondern allzu oft auch im wahren Leben mit unseren Mitmenschen und allem was uns umgibt. Unser Gehirn kategorisiert nämlich unentwegt, wir stecken Dinge in Schubladen um sie beim nächsten Mal, wenn wir ihnen begegnen, schneller erkennen und einordnen zu können. Das ist zwar im Alltag effizient aber birgt auch das Risiko von Irrtümern und wird leider oft dem jeweiligen Gegenüber alles andere als gerecht. Denn in Wirklichkeit ist jedes Ding und jedes Geschöpf einzigartig und unvergleichbar auf dieser Welt. Auch beim Zeichnen neigen wir dazu, sobald wir ein Objekt identifiziert haben, nicht mehr genau hinzuschauen, sondern stattdessen das zu zeichnen, was wir in unserem Kopf dazu abgespeichert haben. Das ist zwar sehr bequem, leider aber auch ziemlich ungenau.
Wenn wir etwas wirklich realistisch zeichnen wollen, müssen wir uns die Mühe machen, genau hinschauen, unser Modell als wertfreies, unbekanntes Objekt betrachten und alles vergessen, was wir dazu in unserem Kopf abgespeichert haben. Wir zeichnen zum Beispiel keine Katze, sondern eine interessante Ansammlung dunkler Flecken. Und die Wiese ist in Wirklichkeit gar keine grüne, sondern eine eher orange-rot-braun gesprenkelte Fläche. Dann werden wir vielleicht auch immer wieder aufs Neue überrascht werden von Formen und Farben, mit denen wir nie gerechnet hätten.